Was ist Wermut, Vermouth, Vermut?
Wenn ich mich in der Bar-/Spirituosenszene umhöre, was wohl der nächste große Trend sein könnte, fällt seit 1-2 Jahren immer wieder der Begriff Vermouth bzw. Wermut.
Halt, Wermut... war da nicht was...? Ich habe dunkle Erinnerungen an meine Jugend, in der ich richtig schlechten Wermut getrunken habe. Wenn ich mich recht erinnere, war der Geschmack eine ungute Mischung aus Zahnpasta und Reinigungsmittel.
Da ich nicht einfach nur auf Experten höre, ohne selbst zu probieren, habe ich mich trotz meiner dunklen Vorgeschichte in der letzten Zeit durch die Wermutwelt getrunken und beim Wermutnippen auch den ein oder anderen Text über Wermut gelesen.
Das Wichtigste vorweg: Guter Wermut hat nichts mit der bitteren Trinkerfahrung in meiner Jugend zu tun! Für alle, die wie ich Essen und Getränke mögen, die zum Experimentieren einladen und geschmack- und charaktervoll sind, ist Wermut auf jeden Fall eine spannende Getränkealternative.
Für alle, die lieber gucken als lesen, gehts hier zu einem kurzem Video über Wermut,
WERMUT, VERMOUTH, VERMOUT ODER VERMUT?
Ja, wie heißt das Getränk jetzt eigentlich? Der korrekte deutsche Begriff ist Wermut. Das Getränk wird nämlich nach dem Wermutkraut (Artemisia absinthium) benannt. Vermouth ist der englische, Vermout der französische und Vermut der italienische/spanische Name des Getränks.
Interessanterweise hat der Name seinen Ursprung im deutschen Wermut. Wie ich im lesenswerten Buch "A sprited Guide to Vermouth" erfuhr, hat sich der Erfinder des ersten kommerziell produzierten Wermuts in Turin im Jahre 1786 den deutschen Namen Wermut (für das geschmacksprägende Wermutkraut) als Vorlage genommen, da das Herzogtum Savoyen, zu dem Turin gehörte, enge Verbindungen zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen pflegte. Der englische Begriff leitete sich später vom italienischen/spanischen ab.
WAS IST EIN WERMUT?
Wermut ist ein sehr aromatisches Getränk, das auf wunderbare Art bittere, süße und manchmal saure Noten mit der vielfältigen Kräuterwelt vereint. Es gibt kaum ein anderes alkoholisches Getränk, dass so vielseitig einsetzbar ist. Man kann Wermut - je nach Sorte - als Aperitif, als Dessertwein oder als Digestif trinken und natürlich als Zutat für Cocktails nehmen. Hier kann man ihn entweder mit Sodawasser oder Tonic zu einem sehr leichten Mixgetränk abschwächen oder mit einer Spirituose (Wermut passt quasi zu jeder Spirituose, ob Gin, Whisky, Wodka, Tequila, und und und…) hochdrehen.
Die genaue Beschreibung ist: Wermut ist ein aufgespriteter Wein mit dem Geschmack des Wermutkrauts und meist anderer Botanicals (Kräuter, Gewürzen Wurzeln, Fruchtschalen etc). Aufgespritet bedeutet, dass dem Wein hochprozentiger Alkohol beigemischt wird. Dies stoppt die Fermentation und lässt mehr Fruchtzucker aus den Trauben im Wein. Gleichzeitig ist der aufgespritete Wein alkoholhaltiger als normaler Wein. Wermut hat zwischen 14,5% und 21,9% Alkohol. Zur Kategorie der aufgespriteten Weine gehören übrigens auch Portwein oder Sherry. Diese beiden werden anders als Wermut aber nicht mit Botanicals aromatisiert. Andersherum gibt es auch jahrhundertalte Traditionen von aromatisierten Weine, die wiederum normalerweise nicht aufgespritet werden. Angeblich tranken die Chinesen bereits 2000 Jahre vor Christus aromatisierte Weine. Heute sind uns wahrscheinlich eher Vertreter wie z.B. Sangria oder Glühwein bekannt.
Das Wermutkraut: Der Schlüsselinhaltsstoff
Ohne das namensgebende Wermutkraut darf das Getränk nicht Wermut genannt werden. Dieses Kraut ist bekannt für seinen äußerst bitteren Geschmack. Nicht umsonst heißt es „Wermutstropfen“. Wermut ist aber nicht nur bitter, sondern besitzt eine komplexe Aromatik mit Noten von Gras, Salbei, Minze, Anissamen, Orange und einer gewissen Herzhaftigkeit. Die bittere, komplexe Aromatik gepaart mit der Süße und Säure des Weins macht den interessanten Geschmack des Wermuts aus. (Mehr zum Thema Geschmack findet ihr hier: Wie schmeckt (guter) Wermut?)
Gin und Wermut
Es gibt sehr interessante Parallelen zwischen Wermut und Gin. Beim Wermut ist das Wermutkraut der geschmackliche Kern und der Schlüsselinhaltsstoff, beim Gin ist es der Wacholder. Bei beiden kann aber zusätzlich eine schier endlose Anzahl anderer Botanicals beigemischt werden, die jeden einzelnen Gin oder Wermut einzigartig machen. Viele der beliebten Botanicals gleichen sie bei beiden Getränken. Dazu gehören Koriandersamen, Kardamom, Zimt, Rosmarin und viele mehr.
Ursprünge des Wermuts
Der Wermut, wie wir ihn heute kennen, hat seinen Ursprung wohl in Turin. Dort wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert auf jeden Fall der erste kommerzielle Wermut produziert. Wermut ist eng mit der Aperitivo-Kultur, die ebenfalls in Turin begann, verknüpft. Die Turiner Bürger*innen treffen sich noch heute gern nach der Arbeit zu einem kleinen Snack in den vielen Bars und Cafes. Dazu gibt es klassischerweise einen Wermut, der dank seines bitteren Abgangs den Appetit anregen soll. Ich durfte mit einem guten Freund, der in Turin lebt, schon öfter die Apertivo-Kultur in Turin erleben. Wenn man es nicht gewohnt ist, kann man sich kaum vorstellen, dass die Turiner nach den vielen leckeren kleinen Schweinereien, die in den Bars serviert werden, noch Hunger auf ein richtiges Abendessen haben. Hier sorgt der Wermut wohl dafür, den Appetit aufrechtzuerhalten…
Wermutkraut und seine Wirkung
Wermutkraut und dessen angebliche Wirkung kennen einige auch durch Absinth, der besonders viel und gern von Künstlern im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts getrunken wurde und angeblich einige dazu brachte, sich Ohren abzuschneiden oder andere verrückte Dinge im Absinth-Rausch zu tun. Das ebenfalls im Absinth enthaltene Wermutkraut enthält den Inhaltsstoff Thujon, der im Zusammenspiel mit Alkohol den Rausch und die Abhängigkeit erhöht. Zwischen 1920 und 1991 war Absinth in Deutschland verboten. Heute gibt es Grenzwerte für alle Thujon-haltigen Getränke. Wermut liegt deutlich darunter. Da er auch viel weniger Alkohol als Absinth besitzt, ist die Wirkung nochmals abgeschwächt. Man muss sich als Wermuttrinker also keine Sorgen um seine Ohren machen...
Der lateinische Name der Wermutkrauts ist übrigenes Artemisia absinthium, woraus sich auch der Name Absinth abgeleitet hat.
VERSCHIEDENE WERMUTSORTEN
Klassischerweise unterteilt man Wermut in folgende Sorten:
Dry Vermouth
Dieser hat weniger als 5% Zucker. Der Dry Stil wurde von Noilly Prat in Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts erfunden. Noch heute ist Noilly Prat einer der bekanntesten Vertreter für trockene Wermuts. Die Basis für einen trockenen Wermut ist normalerweise immer ein Weißwein. Einige Produzenten (u.a. auch Noilly Prat) bieten mittlerweile auch Extra Dry Wermut an. Dry und Extra Dry Vermouth wird sehr gern in einem klassichen Gin oder Wodka Martini benutzt. Man kann den Stil aber auch als Aperitif genießen.
Bianco (weißer) Wermut
Der klassische weiße Wermut stammt ursprünglich aus Italien, wurde aber auch in Spanien sehr beliebt und mittlerweile gibt es weißen Wermut weltweit. Der Zuckeranteil kann stark variieren: von 5% bis quitschsüß. Auch hier ist die Basis immer ein Weißwein. Der weiße Wermut kann je nach Aroma und Zuckeranteil sehr breit eingesetzt werden. Neben Anwendungen in vielen Cocktails auch gern mit Tonic oder als Apertif bzw. bei süßen Vertretern auch als Dessertwein.
Rosso (roter) Wermut
Auch der rote Wermutvertreter kommt ursprünglich aus Italien. Laut verschiedener Quellen ist roter Wermut übrigens der "orginale" Wermut. Der weiße, der heute viel verbreiteter ist, kam erst später hinzu. Roter Wermut kann wie der weiße sehr stark im Süßegrad variieren. Er kann ebenfalls pur oder im Cocktail getrunken werden. Ein klassisches Cocktail-Rezept ist ein Negroni.
Neue Sorten:
Neue Hersteller, von denen viele mit großem Qualitätsanspruch und Innovation an den Start gehen, sorgen dafür, dass es neue Sorten, bzw. Neuinterpretationen klassischer Sorten gibt. So findet man mittlerweile u.a. eine ganze Reihe von Produzenten, die einen Rosé Wermut herstellen.
Lust verschiedene Wermute zu probieren?:
Hier geht's zu unserem Wermut Tasting Set.
Und was ist mit Martini?
Viele kennen Wermut vor allem unter dem Namen Martini, bzw. es gibt desöfteren Verwirrungen zwischen dem Wermut Martini und dem Cocktail mit dem Namen Martini. Lasst mich gern mal die Verwirrungen hier aufklären: Martini ist eine italienische Wermut-Marke, die im Laufe der Zeit zum weltweit größten Wermutproduzenten aufgestiegen ist. Wie in anderen Branchen auch wurde der Markenname "Martini" auch als synonym für die ganze Produktgruppe Wermut genommen. Ähnliches kennt man auch von anderen Produkten wie Tesa-Film, Tempo-Taschentücher oder Velux-Fenstern.
In der Zeit als der Martini Cocktail in den USA erfunden wurde, war Martini so gut wie der Monopolist für Wermut in den Staaten, weshalb der Erfinder seine Kreation nach der Wermut-Marke benannte.
WERMUT: PUR ODER GEMIXT?
Wermut steht wie kein anderes Getränk für klassische Cocktails. Als die Cocktailszene in Ende des 19. und Anfang de 20. Jahrhundert ihre erste Blütezeit erfuhr, durfte Wermut in vielen stilprägenden Cocktails wie Martini, Negroni oder Manhattan nicht fehlen. (In einem Blogartikel haben wir einige unserer Lieblings-Cocktails mit Wermut zusammengestellt.)
Genauso gibt es – vor allem in Spanien und Italien – auch eine Trinkkultur, in der Wermut pur getrunken wird. In diesen Ländern ist sie sehr eng mit der Aperitivo-Kultur verbunden.
Viele Produzenten überlegen sich bei der Herstellung des Wermuts, ob er pur oder als Mixer im Cocktail angeboten werden soll. Es gibt sogar einige Wermutsorten, die speziell für einen bestimmten Cocktail konzeptioniert werden. Neulich trank ich einen roten Wermut mit leichter Schokoladennote, den man vor allem in einem Negroni probieren sollte.
Diese Vielseitigkeit und die einzigartige Aromatik verleihen dem Wermut nun langsam diese Renaissance. Mal schauen, ob er bald Gin als Trend-Getränk Nummer 1 den Rang ablaufen kann. Ich bleibe auf jeden Fall am Thema dran und werde in nächster Zeit weitere Wermutsorten probieren und über Wermut schreiben.
In diesem Sinne, bleibt neugierig!
Euer
Jörn Gutowski
Gründer, TRY FOODS
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Geschmackssache Podcast Folge 11: Wermut