TRY DRY: Alkoholfreie Getränke mit Geschmack
Januar ist traditionell für viele der Alkoholfastenmonat und seit einigen Jahren hat der Monat nun auch einen offiziellen Namen bekommen, und zwar: "Dry January".
Allerdings gibt es meines Wissens nach noch keinen guten Oberbegriff für Getränke, die alkoholfrei sind, und gleichzeitig eine ähnlich komplexe Geschmacksvielfalt wie alkoholische Getränke besitzen. Manchmal bezeichnet man diese Getränke als "alkoholfreie Getränke für Erwachsene" oder, wie die Expertin und Autorin, Nicole Klauß (Die Neue Trinkkultur), sagt "erwachsene alkoholfreie Getränkebegleitung", um den Bezug zum Foodpairing herauszuheben.
Da der Bereich gerade sehr dynamisch ist und man schnell den Überblick über das vielfältige Angebot verlieren kann, stelle ich euch hier die wichtigsten Kategorien vor, in die man alkoholfreie Getränke mit Genussambitionen (um mal einen neuen Namen in die Runde zu werfen...) unterteilen kann.
Die wichtigsten Kategorien für geschmacksambitionierte nichtalkoholische Getränke
1. Saft(Plus)
Neben gesichtslosen Fruchtsäften und -schorlen kann man richtig gute Säfte finden, die die Typizität bestimmter Sorten zeigen und somit einen eigenen geschmacklichen Charakter besitzen. Hier sind u.a. reinsortige Trauben- oder Apfelsäfte zu nennen. So können z.B. alte Apfelsorten wesentlich komplexer sein als nur "süß und saftig". Saure, bittere, würzige oder blumige Noten komplettieren das Geschmacksbild. Bei Anbietern wie Van Nahmen kann man sich durch eine Vielfalt reinsorter Fruchtsäfte trinken. (Vor einigen Jahren habe ich mal reinsortige Traubensäfte probiert und darüber einen Artikel geschrieben.)
Neben reinen Säften entwickeln Mostereien immer mehr "Saft-Plus" Getränke für einen anspruchsvollen Genuss. Diese saftbasierten Getränke werden zum Beispiel mit Kräutern, Essig oder Gewürzen verfeinert und erhalten so weitere Aromenebenen. Sehr gern wird auch mit Kohlensäure gearbeitet, um sektähnliche Getränke zu kreieren. Leckere Beispiele durfte ich u.a. von der Manufaktur Jörg Geiger oder vom Gustavshof probieren.
Ein spezieller Saft, der in letzter Zeit nicht nur in Küchen sondern auch in Cocktailbars eine Renaissance feiert, ist Verjus (Saft aus unreifen Trauben), der gern als Ersatz für Zitronen oder Essig in Speisen oder auch Getränken genommen wird. Den Verjus des Berliner Startup Avaa kann ich euch ans Herz legen, wenn ihr mal den spritzig-sauren Saft probieren wollt.
Kombuchaherstellung (im Glas sichtbar der Kombucha-Pilz)
2. Traditionelle, fermentierte Getränke
Alkoholische Getränke entstehen durch Gärung (Fermentation), bei der Zucker dank der Hefe in Alkohol und Co2 umgewandelt wird. Die Hefe sorgt aber nicht nur für den "Stoff", sondern auch für viele Aromen im fertigen Getränk. Durch Gärung muss aber nicht immer Alkohol entstehen, was man von unterschiedlichen und zum Teil uralten Fermentationstechniken (z.B. Essigsäurevergärung, Milchsäurevergärung, Koji-Fermentation) kennt. Selbst das scheinbar trendige, moderne Getränk Kombucha ist in Wahrheit schon über 2.000 Jahre alt. Andere Beispiele sind Shrubs (essigbasierte Sirupe) oder (Wasser-)Kefir. Alle diese besitzen vielfältige Geschmackskomponenten, die durch die Vergärung entstehen. Entweder pur oder besonders in Kombination mit anderen Getränken können sie für das gewisse Extra sorgen (Hier gehts zu meinem Artikel über Shrubs).
Auch wenn es sich - von einigen Ausnahmen abgesehen - nicht um fermentierte Getränke handelt, so sind natürlich auch Tee und Kaffee aromatisch sehr komplex, weshalb auch diese gern in alkoholischen oder alkoholfreien Cocktails eingesetzt werden.
3. Alkoholfreie/entalkoholisierte Biere, Weine & Spirituosen
In diesem Bereich scheint gerade eine Art Goldgräberstimmung vorzuherrschen. Etablierte Unternehmen und Startups drängen auf den Markt und bieten ihre nichtalkoholischen Varianten von Wein, Schampus, Gin, Whiskey, Wermut usw. an. Das Versprechen auf hohe Umsätze, das in Teilen an die veganen Fleischersatzprodukte erinnert, treibt viele Unternehmen an.
Wie auch im veganen Bereich kann der Versuch des Nachbauens bzw Kopierens Fluch und Segen gleichzeitig sein. Vermarktungstechnisch machen diese Art von Produkte viel Sinn, da sie Konsumenten bei bekannten und beliebten Vorbildern abholen. Gleichzeitig sorgt der Vergleich dafür, dass der Konsument den direkten Vergleich sucht, bei dem dann die Kopie in den meisten Fällen als geschmacklich nicht unbedingt gleichwertig wahrgenommen wird. Gern wird dann die Entschuldigung: "Ja, aber es ist dafür doch vegan/alkoholfrei" benutzt.
Wie ihr durchhört, stehe ich "Kopien" bzw. Produkten, die sich darüber definieren, was sie nicht sind/enthalten, im ersten Moment erstmal skeptisch gegenüber. Ich bin großer Fan davon, wenn Produkte für sich selbst sprechen. Ich weiß aber auch, dass man neuen Ideen und Produkten Zeit geben muss. Während die meisten veganen Produkte vor einigen Jahren geschmacklich nicht überzeugen konnten, hat sich hier viel getan.
Das bringt mich zurück zu der vergleichsweise neuen alkoholfreien Szene. Hier wird viel ausprobiert und experimentiert. Vieles funktioniert (noch) nicht oder nur sehr eingeschränkt. So kann man die meisten alkoholfreien Gin-, Rum- oder Whiskey-Alternativen nur als Teil von Mixgetränken und auf keinen Fall pur trinken.
Das Problem ist, dass der Alkohol als Geschmacksverstärker, Mundgefühlschmeichler und Aromenverbinder fehlt. Das ist auch bei entalkoholisierten Weinen ein Problem. Die alkoholfreien Produkte schmecken oft flach und langweilig. Beim schwierigen Entalkoholisierungsverfahren können nämlich Aromen leicht verloren gehen.
Allerdings tut sich hier einiges. Verbesserte Technologien (z.B. dank Vakuumverfahren) und dem Fokus auf hochwertigere Grundweine und spezielle Sorten, die sich für das Entalkoholisieren eignen, sorgen für interessante Entwicklungen. Besonders Schaumweine funktionieren schon ganz gut.
Ich habe aber auch gerade gestern einen entalkoholisierten Wein von Kolonne Null aus der spanischen Verdejo-Traube probiert, den ich ganz spannend fand. Auch hier wurde ein kleines bisschen Kohlensäure hinzugefügt, die für ein leichtes moussierendes Prickeln auf der Zunge (was man auch von spritzigen Rieslingen kennt) sorgt und dem Wein eine gewisse Spannung verleiht.
Einen guten bzw. akzeptablen alkoholfreien Rotwein habe ich allerdings noch nicht getrunken. Falls ihr einen Tipp für mich habt, freu ich mich sehr darüber!
Wer es meiner Meinung schon sehr gut geschafft hat, sind die Bierbrauer*innen. Unglaublich was sich seit dem ersten Clausthaler Alkoholfrei getan hat. Neue Brauverfahren (gestoppte, gedrosselte Gärung oder nachträgliche Filtration) und der Einsatz spezieller Hefefsorten, die bereits bei etwa 0,4% Alkohol ihre Arbeit beenden, sorgen für aromatische alkoholfreie Biere. Mein Tipp hier: das ü.NN IPA von der Kehrwieder Brauerei.
Verkostung verschiedener alkoholfreier Getränke
Neu: (Wine) Proxies
Ein spannender Ansatz sind die sogenannten Wine Proxies ("Stellvertreter"). Hier versuchen die Hersteller nicht Wein in ein alkoholfreies Getränk umzuwandeln, sondern sie bauen etwas Eigenständiges, das aromatisch an Wein erinnern soll. Hier kommen unterschiedliche fermentierte Getränke wie Kefir oder Kwas (russischer Brottrunk), ungewöhnliche Säfte und Kräuterauszüge zum Einsatz. Wie ihr euch vorstellen könnt, ist es ein aufwendiger, fast alchemistischer Weg ein Getränk so ganz neu zu denken und zu komponieren.
Dass es funktionieren kann, durfte ich dank des dänischen Herstellers Muri feststellen. Ein wirklich facettenreiches Getränk, das die Hersteller als Champagnerersatz positionieren. Besonders beeindruckt hat mich der lange Abgang. Bei vielen anderen alkoholfreien Getränken verschwindet der Geschmack sofort nach dem Schlucken. Der Muri bleibt im Mund mit einer belebenden Saftigkeit und leichten Adstringenz, die zum Weitertrinken animiert.
Es tut sich also einiges in diesem Bereich. Deshalb ist es absolut ratsam immer mal wieder neue Produkte zu testen. Denn wer weiß, vielleicht gibt es demnächst auch einen annehmbaren alkoholfreien Rotwein oder ganz neue Proxies, die begeistern können.
In diesem Sinne, bleibt neugierig!
Euer
Jörn Gutowski
Gründer, TRY FOODS